Radolfzell ist eine Kleinstadt am Bodensee. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde hier eine Kaserne für die Waffen-SS erbaut und 1937 bezogen. Von ihr gingen in folgenden Jahren Verbrechen aus - bis weit über die Region hinaus.
Die Radolfzeller SS sprengte in der Region Synagogen, deportierte Jüdinnen und Juden in Konzentrationslager, war am 'Anschluß' von Österreich, der Besetzung der Sudetendeutschen Gebiete, der Zerschlagung der Tschechoslowakei und dem Überfall auf Polen beteiligt.
In der Radolfzeller Kaserne war von 1941 bis 1945 ein Außenkommando2 des KZ Dachau integriert.3
Beinahe 65 Jahre lang wurde darüber weitgehend geschwiegen. Erst in den letzten zehn Jahren änderte sich das. So wurden 2010 ein vielbeachtetes, neues Theaterstück aufgeführt, ein Dokumentarfilm gedreht und seit 2014 in der Stadt Stolpersteine für die Opfer des Nationalsozialismus verlegt, worüber in der Presse jeweils ausführlich berichtet wurde.
Mehr zur historischen Aufarbeitung der NS-Zeit und dem Gedenken in Radolfzell findet sich in der Chronologie.
Dokument des Monats
"Heimatfront" - Die "Feldpostbriefe für Front und Heimat" der Radolfzeller Stadtverwaltung 1940-1945
"Feldpostbrief Nr. 14 - Für Front und Heimat" - Zu Neujahr 1943
"Feldpostbrief Nr. 15 - Für Front und Heimat" - Mai 1943
Auf Initiative von NS-Bürgermeister Josef Jöhle (1889-1942) gab Radolfzell seit 1940 die erste Folge der propagandistischen „Feldpostbriefe für Front und Heimat“ heraus, mit denen die Stadtverwaltung die Verbindung von Heimatfront und Frontsoldaten zu stärken gedachte. Nach Jöhles krankheitsbedingtem Tod am 25. September 1942 nahm sich der kommissarische Bürgermeister, Pg. August Kratt (1882-1962) der Sache an und versprach Kontinuität im Sinne seines Vorgängers im Amt. "Dem verstorbenen Bürgermeister der Stadt Radolfzell, Pg. Josef Jöhle zum Gedächtnis" ist denn auch der erste "Feldpostbrief" (Nr. 14) der neuen Folge gewidmet, der zu Neujahr 1943 erschien.
Inhalt:
August Kratt: Vorwort an die "lieben Radolfzeller Kameraden"
Ludwig Finckh: Totenrede "Josef Jöhle zum Gedächtnis, 30 September 1942"
NSDAP-Ortsgruppenleiter Otto Gräble: "Liebe Kameraden"
A. Schreiber-Baer: Gedicht zum Thema in Radolfzeller Mundart
"Ehren- und derzeitiger Kameradschaftsführer" des NS-Deutscher Reichskriegerbund "Kyffhäuser", "Kriegerkameradschaft" Karl Wolf: Huldigung Jöhles
u.a.
Der "Feldpostbrief" Nr. 15 erschien im Mai 1943 unter dem Eindruck der Niederlage in der "Schlacht von Stalingrad" und des von Reichspropagandaminister J. Goebbels ausgerufenen "Totalen Krieges", in dem sich die "Heimatfront" mit "fanatischer Entschlossenheit" und "unverbrüchlicher Treue" bewähren sollte.
Recherche und Text: Markus Wolter, Januar 2024