Lade...
 

Jean Zimmermann

E.L. Kreer: „Wir brauchen nur an den Steißlinger Mord zu denken…“ - Jean Zimmermann (1918-1944)

Jean Zimmermann 1937 2  
Jean Zimmermann, hier als Mitglied der Basketball-Mannschaft "Black Star" von Bischheim, aufgenommen 1936/37. Quelle: Le Black Star Bischheim (2017).

Am 3. Dezember 1944 wurde der aus dem elsässischen Bischheim bei Straßburg stammende, nach Zwangsumschulung und Dienstverpflichtung seit Dezember 1941 an der Steißlinger Volksschule unterrichtende Lehrer Jean Zimmermann (19.2.1918, Bischheim - 3.12.1944, Steißlingen) im Rathaus von Steißlingen von „zwei auswärtigen NS-Funktionären“ (zit. Paul Forster) erschossen. Jean Zimmermann war seit 1942 mit Marta Gut, Straßburg, verheiratet, die ebenfalls mit nach Steißlingen gekommen war und dort 1943 vorübergehend als Organistin wirkte, bevor ihr dieses Amt von der Stockacher Kreisleitung verboten wurde. Das Paar hatte einen Sohn.

Initiiert wurde der Mord an Jean Zimmermann von dem Steißlinger NSDAP-Ortsgruppenleiter Friedrich (Fritz) Baumann (21.1.1901-April 1945); unter Einbindung der Stockacher NSDAP-Kreisleitung unter Kreisleiter Albert Zimmermann (1906-1949). Laut „Bericht des Bürgermeisters von Steißlingen Franz Xaver Oexle] über den Mord von Lehrer Hans Zimmermann am 3.12.1944“ habe sich Jean Zimmermann im Rahmen seiner Einberufung zum Volkssturm am 26. November 1944 gegenüber Baumann geweigert, als Franzose den befohlenen Eid auf Adolf Hitler abzulegen. Daraufhin seien am Sonntag, den 3. Dezember 1944 gegen 17.10 Uhr Ortsgruppenleiter Baumann, der Ludwigshafener Bürgermeister, zugleich Ortsgruppenleiter und Btl.-Kommandeur des Volkssturms Eugen Jegler (?-11.5.1945) und „SS-Mann (N.N.) Knobelspies aus Orsingen“ am Steißlinger Rathaus vorgefahren. Baumann habe den „ahnungslosen“, lt. Oexle von Baumann bereits seit längerem drangsalierten und diesem persönlich verhassten Jean Zimmermann ins Rathaus rufen lassen, wo er durch das „nationalsozialistische Rollkommando“ (Pfarrer Andreas Strobel) durch vier Schüsse in den Kopf regelrecht hingerichtet wurde. Bei einem der Rastatter Kriegsverbrecherprozesse wurde laut Angabe in Baumanns Spruchkammerakte festgestellt, dass es Jegler gewesen sei, der nach einem „Handgemenge“ mit Zimmermann diese Schüsse aus seiner Dienstpistole abgegeben habe.

Gegen Weisung des Stockacher Kreisleiters Albert Zimmermann, der die „Verlochung“ der Leiche angeordnet hatte, bekam Jean Zimmermann am 6. Dezember 1944 auf dem Steißlinger Friedhof ein ordentliches Begräbnis. Gegen seine Mörder leitete die NS-Staatsanwaltschaft formell ein Verfahren wegen Totschlags ein, dessen Eröffnung von der SS und der Kreisleitung 1944 jedoch verhindert wurde. Die drei Täter machten zudem „Notwehr“ geltend.

Das französische Militär hielt Baumann für den Haupttäter und erschoss ihn nach seiner Festnahme am 29. April 1945; er wurde wenige Tage später in einem Wald bei Wahlwies tot aufgefunden. Das postume Spruchkammerverfahren ordnete Baumann 1949 der Gruppe der „Schuldigen“ zu.1) Der von den Franzosen in Ludwigshafen internierte und nach Stockach überführte Jegler starb dort am 11.5.1945.

Vom SS-Oberscharführer zum „Narrenvater“: Der Fall Karl Knobelspies

Zur Person von „SS-Mann Knobelspies aus Orsingen“ war bislang nichts bekannt. Jüngste Recherchen ergaben Folgendes: Ein Spruchkammerverfahren gegen Knobelspies hat es offenbar nicht gegeben; stattdessen hatte er sich lt. Spruchkammerakte Friedrich Baumanns nach 1946 vor dem besagten Rastatter Kriegsverbecherprozess des Tribunal général zu verantworten und wurde wegen Beihilfe zum Mord an Zimmermann zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt. Knobelspies soll lt. Verteidiger Dr. Frowein vor Gericht eingeräumt haben, am Mordgeschehen in Steißlingen beteiligt gewesen zu sein, allerdings habe er lediglich versucht, Jegler und Zimmermann voneinander zu trennen. Das Gericht stellte dagegen fest, dass durch Knobelspies' Eingreifen Jegler erst in die Lage versetzt worden sei, seine Pistole zu betätigen und auf Jean Zimmermann zu schießen. Eine Sichtung der Prozessunterlagen, die das Archiv des Franz. Außenministeriums in La Courneuve bei Paris verwahrt, steht derzeit noch aus. Im Stadtarchiv Stockach sind mehrere Dokumente und Verzeichnisse überliefert, die Karl Knobelspies, geb. 11.1.1912 in Orsingen, als Angehörigen der Allgemeinen SS ausweisen. In den Stockacher Archivalien findet sich u.a. auch der Hinweis, dass seine Ehefrau in Stockach, Nenzinger Str. 69, lebte (Stadtarchiv Stockach, Berner B, XIII.1/53); das Paar, das 1936 in Nenzingen geheiratet hatte, bekam zwei Töchter, geb. 1937 und 1939. Der Wohnort von Karl Knobelspies wird dort als „unbekannt“ vermerkt.

Im „Einwohnerbuch für den Bezirk Stockach“, Meßkirch 1938, S. 22, ist Karl Knobelspieß(!) als Einwohner der Stadt Stockach verzeichnet; Berufsangabe: Schmied, Adresse: Rißtorferstr. 69.

Knobelspies wird ferner in einem 1945 erstellten „Verzeichnis der noch in Stockach wohnenden männlichen Personen“ als Beschäftigter der Stockacher Metallwarenfabrik Glatt (heute Aluminium Stockach) geführt (Berner B, XIII. 1/46). Im Aktenfaszikel B, XIII.1/49 (Feststellung über Mitglieder der NSDAP sowie Beamten und Würdenträger der NSDAP. Liste der Parteimitglieder) wird Karl Knobelspies 1946 mit 9 anderen Mitgliedern als Mitglied der „Allgemeinen SS“ gelistet. Dort finden sich auch sein Beruf (Schmiedemeister), sein Geburtsdatum (11. Januar 1912) und sein letzter Dienstgrad (SS-Oberscharführer), NSDAP-Mitgliedschaft seit 1933. Letzter Aufenthaltsort: Stockach (nachgetragen. Das zunächst eingetragene Orsingen wurde gestrichen). „Augenblicklicher Aufenthaltsort: unbekannt“ (Stockach wurde gestrichen). Berner B, XIII. 1/53 (Durchführung des Gesetzes Nr. 52. Verzeichnis der gesperrten Vermögen) führt Karl Knobelspies in 2 Listen. Einmal wird er dort als Mitglied der „Heimat-SS“ genannt, das andere Mal in einer Liste der Bezirkssparkasse Stockach als Karl Knobelspies, SS-Oscha, Wohnort Stockach/Risstorf. Durch Internet-Recherchen fanden sich auf der Homepage des "Fördervereins Dorfgemeinschaft Nußdorf e.V." (abgerufen 9.6.2017, Überlingen-Nußdorf, mehrere Fotografien der „Nußdorfer Narrengesellschaft“ eingestellt, die u.a. den Nußdorfer „Narrenvater Karl Knobelspies“ der Jahre 1955-1970, genannt „Zacken-Karle“, zeigen und eine Identifizierung ermöglichten: laut Auskunft der Friedhofsverwaltung Überlingen sind dessen Geburtsdatum und Geburtsort mit den Daten des Orsinger SS-Oberscharführers Karl Knobelspies identisch.

Der offenbar vorzeitig aus der Haft entlassene Karl Knobelspies meldete sich laut Einwohnermeldekarte bereits am 21. Februar 1953, aus Stockach, Nenzinger Str. 69 kommend, mit seiner Familie in Nußdorf an und zog Anfang 1957 nach Überlingen, wo er bei den Kramer-Werken GmbH zum Maschinenbaumeister aufstieg und bis zu seinem Tod am 30. März 1993 lebte - ohne vermutlich jemals wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert zu werden. Die Nußdorfer Narrengesellschaft hielt „ihren“ „Narrenvater“ in Text und Bild bis zuletzt in ehrendem und unkritischem Andenken. Als „Zunftmeister der Schneckenzunft Nußdorf“ bekam Knobelspies 1967 den Auftrag, die Herstellung des „Narrenbuchs“ der Narrenvereinigung Hegau-Bodensee in die Wege zu leiten, wofür er noch heute auch auf deren Homepage gewürdigt wird.1 Begraben liegt Knobelspies auf dem Nußdorfer Friedhof.

8, rue Jean Zimmermann, Bischheim

Die sterblichen Überreste Jean Zimmermanns wurden am 3. Dezember 1947 von Steißlingen nach Bischheim überführt. Seine Heimatstadt ehrt Jean Zimmermann seit 1946 mit einer nach ihm benannten Straße (rue Jean Zimmermann), in der damals noch seine Eltern wohnten.

Vgl.:

Totenzettel o. J.
Hommage à Jean Zimmermann, Zeitungsartikel 1974

Vgl.: Spruchkammerakte Friedrich Baumann, StAF D 180/2, 223495; ferner: Akte „Jean Zimmermann“: „Bericht des Bürgermeisters von Steißlingen über den Mord von Lehrer Hans Zimmermann am 3. Dezember 1944“; ferner: „Überführung des von Ortsgruppenleiter Baumann und dessen Helfern 1944 ermordeten elsässischen Lehrers Hans Zimmermann von Steißlingen nach Bischheim“ , 1946/47, Gemeindearchiv Steißlingen; Einwohnermeldekarte Karl Knobelspies, Stadtarchiv Überlingen; vgl. ferner: Paul Forster: Steißlingen. Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge zur Geschichte des Dorfes Steißlingen, Singen, Hegau-Geschichtsverein (= Hegau-Bilbiothek, Band 60) 1988, S. 174.

Markus Wolter 2017

1 Vgl.: Das Narrenbuch, ein Kleinod, abgerufen am 18. Mai 2021.