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Alma und Ludwig Deuring

Alma Und Ludwig Deuring Stolperstein
Alma Deuring, geb. Broggi, wurde am 13.02.1901 in Luvinate, Italien, geboren und starb am 04.02.1989 in Radolfzell. Nach 1922 in verschiedenen Stellungen als Dienstmädchen tätig, fand sie 1927 Arbeit als Zuschneiderin bei Schiesser in Radolfzell. Sie wurde am 8.9.1943 wegen ihrer „antinazistischen Einstellung“ von der Gestapo in Radolfzell verhaftet und verbrachte 3 Wochen in „Schutzhaft“. Als „Verfolgte des Nationalsozialismus“ wurde sie nach dem Krieg anerkannt.

Sie war ab 1934 verheiratet mit Ludwig Deuring, der am 25.08.1889 in Hawangen geboren wurde und 1969 in Radolfzell verstarb.

Ludwig Deuring arbeitete nach dem Besuch der Volksschule zwischen 1906 und 1922 für den Norddeutschen Lloyd, Bremen, und in der Hochseefischerei. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Marinesoldat in Flandern teil. 1924 wurde Deuring, der 1922 nach Radolfzell gekommen war, Mitglied der KPD und saß zusammen mit seinen Fraktionskollegen Karl Teufel, Heinrich Hof, Hermann Müller und Hermann Schärmeli 1930-1933 im Radolfzeller Bürgerausschuss. Gearbeitet hat Ludwig Deuring in seinem gelernten Beruf als Dreher bei Allweiler.

Ludwig Deuring wurde am 3. März 1933 erstmals verhaftet und war im Radolfzeller Gefängnis bis 4. Mai 1933 in „Schutzhaft“.

„Rundfunkverbrechen“

1934 erwarben die Deurings beim Radiofachgeschäft Ickenroth & Borel in der Schlageterstr. 30 (heute Seestr. 60) einen „zum Empfangen von Sendern aus der ganzen Welt“ geeigneten „Reico Atlantis“ der Berliner Radiofabrik Max Reinhardt & Co. zum Preis von 208,60 RM. Die Rechnung beglich das Paar mühsam in acht Monatsraten bis zum Dezember 1934. Zum Vergleich: der von der NS-Propagandaführung bereits 1933 eingeführte, einfache Volksempfänger VE 301 war zum Preis von 76 Reichsmark vergleichsweise günstig zu erwerben. Vor diesem Hintergrund ist ein Gestapo-Dossier vom April 1939 aufschlussreich:

„Bedenklich ist die immer größer werdende Sucht, die in deutscher Sprache ausgehenden Meldungen ausländischer Rundfunksender abzuhören. Das führt dazu, dass auch auf dem Lande von weniger begüterten Volksgenossen anstelle der einfachen billigen Volksempfänger die teuren und leistungsfähigen Rundfunkgeräte bevorzugt werden, mit denen auch die Sendungen aus dem Ausland gut abgehört werden können.“

Volksempfänger VE 301 Wn, Rundfunktechnische Erzeugergemeinschaft G.m.b.H., 1937; Wellenbereiche: LW, MW.
Volksempfänger VE 301 Wn, Rundfunktechnische Erzeugergemeinschaft G.m.b.H., 1937; Wellenbereiche: LW, MW.

 

"Reico Atlantis", Max Reinhardt & Co, Berlin 1933, Wellenbereiche:LW, MW, KW.
"Reico Atlantis", Max Reinhardt & Co, Berlin 1933, Wellenbereiche:LW, MW, KW.


Es ist anzunehmen, dass die Deurings die Möglichkeiten ihres Reico-Weltempfängers in ihrer Dachgeschosswohnung in der Schlageterstr. 29 entsprechend nutzten; dabei ständig in Gefahr, denunziert zu werden.

Bereits 1936 gab das Reichsjustizministerium eine Richtlinie heraus, wonach bei gemeinschaftlichem Empfang von „Radio Moskau“ grundsätzlich von „Vorbereitung zum Hochverrat“ auszugehen sei. Das „Abhören“ des sogenannten „Moskausenders“ erfülle den Straftatbestand des Hochverrats, wenn die Hörer „politisch vorbelastet“ seien und das „Abhören unter gewissen Sicherungsmaßnahmen stattfindet“. Ferner sei „nicht auszuschließen“, dass Hochverrat auch dann gegeben sei, „wenn nur die engsten Familienangehörigen sich am Abhören beteiligen, vorausgesetzt, dass sie es in der Absicht tun, sich selbst in ihrer hochverräterischen Überzeugung zu erhalten und zu stärken.“

Mit Kriegsbeginn 1939 wurde schließlich die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ erlassen, die das Hören von ausländischen, sogenannten „Feindsendern“ generell verbot und insbesondere die „Weitergabe“ von potenziell als „wehrkraftzersetzend“ beurteilten Nachrichten („Mundpropaganda“) mit mehrjährigem Zuchthaus drakonisch bestrafte, in besonders schweren Fällen sogar mit dem Tod.

Spätestens 1941 wurden Radiogeräte beim Kauf bzw. alle angemeldeten Altgeräte von politischen Leitern der NSDAP mit einem roten Warnhinweis-Schild versehen: „Denke daran. Das Abhören a u s l ä n d i s c h e r Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet.“

Vom 24. Oktober 1938 bis zum 25. Februar 1939 war Ludwig Deuring im Radolfzeller Gefängnis in Untersuchungshaft. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, begangen durch Mundpropaganda und Zugehörigkeit zur KPD“ und wegen „Abhörens kommunistischer Sender“ wurde Ludwig Deuring mit Urteil vom 25. Februar 1939 vom Oberlandesgericht Stuttgart zu einer Zuchthausstrafe von 2 Jahren verurteilt, die er unter Anrechnung der Untersuchungshaft bis zum 25. Juni 1940 in den Gefängnissen Ludwigsburg und Rottenburg (ab 13.11.1939) verbüßte. Bis zu seiner Entlassung musste er im Arbeitskommando Aichholzhof/Markgröningen im Steinbruch arbeiten.

Am 22. August 1944 wurde Deuring im Rahmen der sogenannten „Aktion Gitter“ von der Gestapo erneut verhaftet und kam am 23. August 1944 ins elsässische KZ Natzweiler (Häftlingsnummer 23308). Von dort wurde Deuring am 4. September 1944 in das KZ Dachau überstellt (Häftlingsnummer 98606), wo er am 24. September 1944 entlassen wurde.

Ab 31. Mai 1945 gehörte Deuring dem ersten Radolfzeller Gemeinderat der Nachkriegszeit an.

Alma und Ludwig Deuring hatten ein gemeinsames Kind, die 1937 geborene Renate Deuring; über deren Leben ist bis dato nichts Näheres bekannt. Sie lebten zur Zeit der Verfolgungsmaß­nahmen in der Schlageterstr. 29, die der heutigen Seestr. 59 entspricht.

Zu „Rundfunkverbrechen“ vgl. auch die Stolpersteine für Ernst Ludwig Kreer und Carl Diez.

 

Recherche: Markus Wolter
Patenschaft: Else Schlegel-Ickenroth (1930-2022) und Bodensee-Solarschifffahrt GmbH


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Manuskript der Rede anlässlich der Verlegung am 28. Juni 2014

Quellen

Staatsarchiv Freiburg, Gesuch um Aufnahme in den Badischen Staatsverband: Dienstmädchen Alma Broggi aus Luvinate in Italien, Laufzeit 1922-1935, B 728/1 Nr. 8273; Staatsarchiv Freiburg, Spruchkammer Südbaden: DNZ-Akten, D 180/2 Nr. 5234; Staatsarchiv Freiburg, Landesamt für Wiedergutmachung, Außenstelle Freiburg, F 196/1 Nr. 152; Staatsarchiv Ludwigsburg, Bestand E 356 d V: Strafanstalt Ludwigsburg mit Zweiganstalt Hohenasperg: Gefangenenpersonalakten, Deuring, Ludwig, Delikt: Vorbereitung zum Hochverrat (1939-1940). E 356 d V Bü 2404. (Die Urteilsschrift ist nicht überliefert) Vgl. ferner: Schreibstubenkarte von Ludwig Deuring in der Datenbank des KZ Dachau; Geschäftsbücher 1934, Radiofachgeschäft Ickenroth & Borel, Privatbesitz Elsa Schlegel.